Besucher des Websummit
13.11.2015

Ferien auf dem Holodeck

Vier persönliche Erlebnisse vom Websummit 2015

Transformation

Webwhat?

Der Websummit ist die größte Tech-Konferenz Europas, bei der digitale Macher aus den unterschiedlichsten Bereichen von Wirtschaft & Gesellschaft zusammenkommen.

Johannes Schubert ist dazu nach Dublin gereist und schildert in diesem Artikel seine Eindrücke.

Die offiziellen Daten:

3 Tage
21 Bühnen
1000 Speaker
1000 Investoren
1231 Journalisten
2141 Start-Ups
42 000 Teilnehmer
199 054 Tweets

1. Der Pausenbrot-Effekt

Nach 3 Tagen digitalem Overkill habe ich mich gefragt: Was war eigentlich dieses Jahr das große Thema des Websummits, das die 42 000 Teilnehmer bewegt hat? Tatsächlich gibt es eine Sache, die jeder Taxifahrer in Dublin mitbekommen hat und über die Zeitungen auf den Titelseiten berichteten.

Es war kein Start-Up. Es war keine Technologie. Es war kein Speaker.

Die große Story war das Pausenbrot. Selbst auf der digitalsten Konferenz Europas müssen Menschen nämlich etwas essen. Im Gegensatz zu den letzten Jahren war das Catering-Angebot des Food Summits diesmal nicht im Ticket-Preis enthalten. Die Tokens (Business-Deutsch für Lebensmittelmarken) durfte man für 20€ am Tag oder 50€ für drei Tage erwerben.

Ja, ich finde das auch für regionale Zutaten und leckeres Essen nicht gerade billig. Wieso habe ich (fast) ohne mit der Wimper zu zucken das überteuerte Lunchpaket gebucht?

Hamburger

Auf dem Schild stand: „Reinventing the Burger Experience.“

Weil ich schon vorher etwas vom Taschengeldeffekt gehört hatte und ihm diesmal nicht zum Opfer fallen wollte.

Dieser beschreibt zum Beispiel folgendes paradoxe Verhalten: Ein Projektmanager in einem Konzern schafft es innerhalb eines Tages sechs oder siebenstellige Summen in Excel durchzurechnen und großzügige Spielräume (zum Beispiel für Innovation) in der finanzielle Planung intern zu verantworten. Dann bekommt er die Aufgabe einen neuen Flat Screen für den Konfi zu besorgen. Er klickt sich durch Shops, liest kilometerlange Amazon-Bewertungen. Zwei Monate später zögert der Projektmanager immer noch mehr als 900€ für einen Fernseher auszugeben. So eine Geldverschwendung würde seine Frau ihm privat nämlich ziemlich übel nehmen.

Dank Early Bird Ticket, Flug mit Aer Lingus, zentralem BnB statt Hotel, Einladungen zu Geschäftsessen statt Essen gehen habe ich mein Ziel erreicht für eine Woche intensives Machine Learning knapp unter 1000€ zu zahlen. Der Food Summit hat also 2% meines Investments ausgemacht.

In dem Moment des Einkaufs habe ich deshalb beschlossen dem Essenskandal auch nicht mehr Anteile meiner Aufmerksamkeit zu schenken.

Deswegen, jetzt schnell zum Beef: Was mir dieses Jahr am stärksten in Erinnerung bleiben wird.

2. Samuel, das Wunderkind

Vor vier Jahren war die größte Tech-Konferenz Europas noch ein herrlich-kuscheliger Hangout von 400 Personen. Viele sagen, der Websummit ist mittlerweile zu groß geworden, um noch gut zu sein.

Stimmt. Man kann nicht alles mitnehmen. Und wenn man nicht aufpasst, rauscht der Websummit ganz schnell an einem vorbei.

Man kann das gigantische Überangebot aber auch positiv sehen. Der Websummit ist ein tolles Trainingslager, um seine persönliche FOMO (Fear of Missing Out) zu überwinden. Beim Websummit habe ich dazu drei Techniken ausprobiert. „Hyper-Presence.“, „Less is more.“ und „Hallo.“

Besonders bei der dritten Methode kann etwas Glück nicht schaden. Wie zum Beispiel bei meinem Treffen mit Samuel Cardillo Lespes.

Ich befinde mich auf dem Weg von einem Talk zum anderen (der Grundzustand der Konferenz), da fällt mir ein auffällig-unauffälliger-kleiner-junger Mann auf. Google Glass über der Metall-Brille, grauer Google Kapuzenpullover. Klick. Ich mache ein heimliches Portrait. 

Mann trägt Google-Glass

Man in Grey.

Dann sage ich dem Unbekannten „Hallo“. Ein sehr freundliches Gespräch entsteht. Ich teste Samuels Google-Glass – die aktuelle Edition, die ich einigermaßen entspannt über meiner Sehbrille tragen kann. Er demonstriert mir die neuste Software, mit der man mit einem Augenzwinkern ein Foto schießen kann, was einfach Spaß macht. Genau so eine Art von Kamera habe ich mir tatsächlich schon dann häufig gewünscht wenn ich meine 6 Monate alte Tochter breit grinsend durch die Luft wirbele.

Das Gespräch wird noch inspirierender als Samuel mir mehr über seine Arbeit bei Google erzählt. Er entwickelt Use-Cases für den Launch der nächsten Version der Datenbrille in zwei Jahren.

Hauptsächlich arbeitet Samuel aber im Rahmen des Polymer-Project an einfach zu benutzenden Open-Source-Modulen (die nächste Generation von Web Components) und freut sich darüber mehr Menschen die Möglichkeiten zu geben ihre Ideen im Netz umzusetzen. Laut Google muss man in Zukunft nur noch drei Sprachen sprechen: HTML, CSS und JS.

Am faszinierendsten finde ich Samuels Weg zu Google. Nachdem er in seiner Heimatstadt Tel Aviv ein erstes Start-Up im Musikbereich aufgebaut und verkauft hatte, entwickelt Samuel während seiner Wehrpflicht ein Tool, das die Raketenangriffe auf Israel analysiert und Flugbahnen per Algorithmus voraussieht. Die israelischen Streitkräfte haben Samuel das Tool abgekauft und es ist auch heute immer noch im Einsatz.

Habe ich irgendwas vergessen: Ach ja, Samuel ist gerade 20 Jahre alt geworden.

3. Die kalifornische Erfolgsmaschine

Wisst ihr was eine Agentur ist, Kinder? Nein? Stimmt, die gibt es ja schon lange nicht mehr. Hmm. Also Agenturen, das waren eigentlich ganz lustige Unternehmen, die anderen Unternehmen geholfen haben Marketing zu machen. Manche Agenturen haben auch Apps gebaut. Und so Sachen halt. Das waren die mit den Kickern.

Auf dem Websummit wurde in vielen Vorträgen deutlich wie sehr heutzutage Facebook und Google die Regeln des Marketings bestimmen. Ein Beispiel: Immer weniger Leute installieren neue Apps auf ihren Smartphones. Dazu sind häufig die Apps, die sie vor einigen Jahren installiert haben, nur aus dem Grund noch nicht gelöscht, weil die Notifications irgendwann deaktiviert wurden und Speicherplatz auch bei Smartphones kein Problem mehr ist.

Wie können Marken trotzdem das höchste der Gefühle, den ‘Singular View of Customer’ erreichen? Wie kann zum Beispiel eine Airline die einzelnen Insassen eines Fluges noch vor vor dem Abflug kontaktieren? Facebook hat darauf eine ziemlich überzeugende Antwort:

Interview auf Websummit

„Threads are the new apps.“

David Marcus, VP of Messaging Products

Anstatt die schwächelnde eigene Dialog-Plattform weiterzuentwickeln, sollen Marken in Zukunft Kundenbindung stärker via Facebook Messenger (700 Millionen aktive User) betreiben. Der individuelle Thread wird dazu mit Hilfe eingebauter Apps angereichert werden.

Hmmmmmmmmm. Shut up and take my data.

4. Ein virales Produkt

Für kalifornikalyptische Gefühle bleibt beim Websummit glücklicherweise keine Zeit.

Nach dem Facebook-Vortrag drängle ich mich nämlich schnell raus aus dem Marketing Summit und jogge rüber zur Center Stage, wo in wenigen Minuten die letzte Keynote des Tages von Instagram Co-Founder Mike Krieger beginnt.

Vor mir bahnen sich zwei Jungs mit orangenen Waschbär-Logos auf schwarzen Caps einen Weg durch die Menschenmassen: Das gleiche Logo hat seit kurzem einen der angeblich nicht mehr verfügbaren Plätze auf meinem iPhone gefunden. Die dazugehörige App heißt Jodel.

Man mit Kappe mit Jodel Logo von hinten

Mobile First bedeutet für den Websummit: Joggingschuhe statt Anzugsschuhe.

Der Vortrag des Instagram CTOs über die Entwicklung ihres Content-Empfehlungssystem ist wenig spektakulär, aber sehr ermutigend. Es ist toll zu sehen, was Geniales dadurch entstehen kann, wenn man zwar mit Wasser kocht, aber dabei immer weiter dazulernt.

Nach dem Vortrag komme ich mit Alessio und Tim von Jodel ins Gespräch. Sie suchen gerade nach einer Positionierungs-Zeile für ihre lokale & anonyme Posting-App und ich verspreche mir ein paar Gedanken dazu zu machen.

Zwei Tage später habe ich endlich etwas Zeit dafür gefunden und mir mit David Wegener, einem befreundetem Texter und Jodeljunkee einen Ansatz ausgedacht. Der wandert einmal durch die Websummit App, die in diesen Tagen im Dauerbetrieb ist. Dann treffen wir die Jungs nochmal.

Sie finden den Text gut und werden ihn in die Erfolgsmaschine integrieren. Wir denken: Vielleicht haben die Jungs ja noch Bedarf an tollen Ideen für Marketing-Stunts? Doch als Tim uns vom aktuellen Wachstum der User-Zahlen erzählt, trauen wir kaum unseren Ohren.

Growth funktioniert bei Jodel in drei Schritten:

• Man nehme Flyer mit einem Screenshot der App, auf der lokal relevante Beiträge abgebildet sind

• Ein Jodler legt die Flyer frühs um acht in der ersten Vorlesung (am besten Physik). Die gelangweilten Studenten nutzen das Uni-WLAN und ziehen sich die App.

• Der Jodler sorgt dafür, dass im digitalen Hier und Jetzt schon ein paar relevante Beiträge auf der Plattform sind, die z.B. die Physik-Vorlesung kommentieren

Mit dieser Strategie erobern die Jungs eine Stadt nach der anderen und werden immer erfolgreicher. Vor kurzem galt es Schweden zu erobern. Um 30% der schwedischen Studenten (250 000 User) innerhalb von 5 Tagen als Jodler zu rekrutieren haben die Jungs unvorstellbare 5000€ ausgegeben.

Genau: Für Flyer.

Mann mit VR-Brille
Websummit Interview auf Smartphonebildschirm
Bühne auf Websummit
Menschen auf Websummit
Menschen auf Websummit
Redner auf Websummit
Tablet
Bunte Schafe auf einer Wiese

Was lerne ich vom Websummit?

Sobald man den Product-Marketing-Fit gefunden hat, darf man seine Excel-Spalte etwas breiter einstellen und an Skalierung denken.

Durch die Digitale Transformation verschwimmen weiterhin sämtliche Grenzen, was es für Agenturen immer schwieriger macht ihre Rolle zu definieren. Manchmal klingt diese dann etwas schwammig, wie Isobars Ansatz des Brand Commerce, der einen Business-Cocktail aus Markenstorys, Verkauf und Technologie beschreibt.

Wir leben definitiv in der spannendsten Zeit seit der Erschaffung der Welt und wenn eine Sache auf dem Websummit spürbar ist, dann diese: Alles ist möglich.

Aber: Obwohl in jedem zweiten Chart auf dem Websummit der Begriff Machine Learning wie selbstverständlich zu finden ist, bleibt es noch ein langer Weg bis soziale Roboter wie Jibo die gleiche emotionale Intelligenz entwickelt haben wie die extrem freundlichen People of Dublin denen ich abseits der Konferenz begegnet bin.

 

See you at Websummit, 8.-10. November 2016, Lisboa

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Text: Johannes Schubert